Am 22. November 2019 war es soweit: Wir verabschiedeten uns von allen Kindern, Schwestern sowie Lehrern, packten die letzten Dinge in unsere Rucksäcke und dann gingen wir, begleitet von einigen Kindern, vorerst ein letztes Mal durch das Tor unserer Schule, die Straße entlang, bis uns ein vorbeifahrendes Auto in die nächstgrößere Stadt bringen konnte.
Das war ein echt komisches Gefühl, diesen jetzt schon so vertrauten Ort in Namibia für anderthalb Monate zu verlassen. In dem Moment wollte ich gar nicht erst an den großen Abschied am Ende meines Freiwilligendienstes denken, der wohl noch um einiges endgültiger und emotionaler sein wird als der jetzige.
Vor mir lag nun erstmal eine Reise durch ganz Namibia: Eine Zeit, in der ich noch ganz andere Orte des Landes entdecken und kennenlernen wollte.
Mein erstes Ziel auf der Reise war die in der Nähe von Oshipeto gelegene Stadt Outapi. Über die Freiwilligen Maria und Lukas, die für das Rote Kreuz arbeiten, waren wir zu einer Hochzeit eingeladen worden, die nun an diesem Wochenende stattfinden sollte.
Nachdem wir am Freitag noch unsere traditionellen Kleider und Hemden abgeholt hatten, waren wir startklar.
Eine Hochzeit der Ovambo dauert zwei Tage und findet auch an unterschiedlichen Orten statt.
Der erste Tag wird von der Familie der Braut in deren Dorf ausgerichtet:
Da wir über die zukünftige Ehefrau zur Hochzeit eingeladen worden waren, sind wir an diesem Tag schon am Morgen zum Dorf der Braut gefahren und haben geholfen, die letzten Dinge für das später stattfindende Essen vorzubereiten. In dieser Zeit waren die anderen Gäste und das Brautpaar gerade in der Kirche.
Als alle Gäste und das Brautpaar von der Kirche wiederkamen, wurden Geschenke überreicht, viel getanzt, getrunken und das ein oder andere Tier geschlachtet, wo Tom und ich auch gleich mithelfen durften.
Es herrschte eine sehr ausgelassene und freudige Stimmung, die einen sofort in ihren Bann gezogen hat.
Während der erste Tag der Hochzeit für die Braut bestimmt ist, wird der zweite Tag von der Familie des Bräutigams organisiert und findet in seinem Dorf statt. Dies ist nach der Tradition auch das Dorf, wo die Braut nach der Hochzeit hinziehen wird.
Der Tag verlief ähnlich wie der Vortag. Eine besondere Überraschung war es, an diesem Tag unsere Schulleiterin auf der Hochzeit zu sehen, da wir im Nachhinein herausgefunden haben, dass sie in der Nachbarschaft des Bräutigams wohnt.
Neben vielen Gästen, die in Beziehung zum Brautpaar stehen, waren jedoch auch einige uneingeladene Gäste anwesend, die versucht hatten, in das Festzelt zu gelangen. Man erklärte uns, dass dies normal für Hochzeiten im Norden Namibias sei, da Feiern dieser Art auch immer mit kostenlosem Essen und Trinken für die Gäste in Verbindung gebracht werden.
Dies ist auch der Grund, warum viele Menschen in der Region, wo ich den Freiwilligendienst absolviere, erst sehr spät heiraten, da es für die jeweiligen Familien oftmals sehr schwierig ist, das Geld für eine Hochzeit aufzutreiben.
Als Personen mit weißer Hautfarbe sind wir auf der Hochzeit sehr aufgefallen. Schon als wir aus dem Auto ausgestiegen sind, hörte ich von einem Gast ungefähr folgenden Satz auf Englisch: „Oh, es sind Weiße auf der Feier. Die wird gut!“
Natürlich stimmte diese Aussage nicht, vor allem, weil ich als Ostwestfale wohl längst nicht so viel Stimmung auf einer Party mache wie die Einheimischen, die den gesamten Tag ständig am Tanzen und Klatschen sind.
Einmal haben wir angefangen, auf Nachfrage eines Gastes ein Foto mit diesem zu machen. Blitzschnell bildete sich eine Schlange mit Leuten, die ebenfalls Fotos mit uns haben wollten.
Aus dieser Situation, in der man sich selbst wie ein Maskottchen in einem Freizeitpark gefühlt hat, war es dann auch erstmal schwierig, wieder herauszukommen.
Nachdem wir zwei Tage lang Hochzeit gefeiert haben, sind wir am nächsten Tag 10 Stunden mit dem Bus in die Hauptstadt gefahren, um dort ein paar Tage zu verbringen.
Die Hauptstadt habe ich nun, nachdem ich für drei Monate im Norden gelebt habe, nochmal ganz anders wahrgenommen als nach der Landung im August:
Als ich durch die Straßen ging, fiel mir als Erstes auf, dass der Großteil der Menschen hier wieder mehr Wert auf Mode und Aussehen legt.
Dies klingt im ersten Moment oberflächlich, jedoch tragen die meisten Menschen im Norden des Landes Anziehsachen einfachster Art, weil die meisten schlichtweg kein Geld dafür haben, neben Nahrungsmitteln noch regelmäßig neue und modische Kleidungsstücke zu kaufen.
Auch war ich erst einmal wieder über die Menge und Vielfalt an Geschäften erstaunt: Während es im Norden hauptsächlich hin und wieder ein größeres Lebensmittelgeschäft gibt, habe ich in Windhoek nun auch wieder Läden gesehen, in denen zum Beispiel ausschließlich Dinge wie Mickey Mouse Handyhüllen oder Star Wars Tassen verkauft wurden.
Im Norden des Landes würde sich ein Geschäft dieser Art nicht einen Tag lang halten, da der überwiegende Teil der dort lebenden Menschen nicht die Mittel hat, um sich Luxus wie diesen zu leisten.
Nach dem Aufenthalt in der Hauptstadt haben wir uns zu viert einen Geländewagen mit zwei Dachzelten gemietet, um mit diesem für drei Wochen quer durch Namibia zu reisen.
Drei Wochen, die gefühlt so schnell herumgingen wie zwei Tage: Es war einfach eine großartige Zeit, auf den einsamen Straßen Namibias Auto zu fahren, an schönen Orten zu halten, am Abend etwas auf unseren zwei Gaskochern oder über dem Lagerfeuer zuzubereiten und dann mitten in der Natur im Zelt einzuschlafen.
Wir sind zuerst in den Süden des Landes gefahren, um den zweitgrößten Canyon der Welt, den Fish River Canyon, und Lüderitz mit der verlassenen Stadt Kolmanskop zu besichtigen.
Dabei fiel mir direkt auf, dass der Süden um einiges einsamer und dadurch aber auch sauberer ist als der Rest des Landes. Wenn wir einmal durch eine etwas größere Stadt gefahren sind, haben wir direkt für mehrere Tage eingekauft, um zu verhindern, dass die Vorräte irgendwann ausgehen.
Diese große Einsamkeit macht für mich das Reisen in Namibia auch mit aus: Ich habe es noch nie zuvor erlebt, dass man manchmal mehrere Stunden gerade auf einer Straße gefahren ist und keinem Gegenverkehr oder anderen Autos begegnet ist. Man ist einmal ganz für sich.
Auch die ehemalige Diamantenstadt Kolmanskop bot ein sehr beeindruckendes Bild:
Als deutsche Bahnarbeiter im Jahre 1908 zufällig auf Diamanten stießen, erfuhr Kolmannskuppe einen Boom, der die Siedlung schnell zu einer wohlhabenden Bergbaustadt wachsen ließ. Trotz der lebensfeindlichen Umstände der Wüste, von der die Stadt umgeben ist, lebten zu Hochzeiten bis zu 400 Einwohner in Kolmannskuppe in erstaunlichem Luxus.
Nachdem mit schwindenden Diamantenvorkommen das Interesse am Stützpunkt Kolmannskuppe (ab 1915 Kolmanskop) verloren ging, wurde in den frühen 1930er Jahren der Diamantenabbau eingestellt und die Stadt als Konsequenz 1960 komplett aufgegeben. Seitdem steht Kolmanskop, den Elementen überlassen, einsam in der Namibwüste.
Zu ihrer Blüte waren Kolmanskop und Lüderitz die wohlhabendsten Städte in ganz Afrika:
Unter anderem war es interessant zu sehen, wie viel Technologie die Deutschen damals mit in das Land gebracht haben. Kolmanskop war bereits zu jener Zeit ans Telefonnetz angeschlossen, es gab eine Straßenbahn und die Menschen hatten alle einen Kühlschrank mit Gefriertruhen im Haus.
Unser Guide hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: „Die waren damals weiter, als manch ein Dorf heute in Namibia.“
In einem mit Weihnachtsdeko geschmückten Auto und Weihnachtsliedern aus dem Radio ging die Fahrt bei knapp 40 Grad Außentemperatur vom Süden wieder weiter in den Norden Namibias.
Immer wenn man es am wenigstens erwartet, taucht in Namibia übrigens irgendwo im Nichts ein kleines Restaurant auf, wo man zur Mittagszeit anhalten kann, um einen Kaffee zu trinken und wirklich köstlichen Apfelkuchen zu essen.
Im Verlauf der Reise besichtigten wir dann die Dünen sowie das Sossusvlei, machten eine (etwas anstrengende) Tageswanderung durch den Naukluft-Nationalpark, besuchten die Spitzkoppe und rutschten eine 880 Meter lange Zip-Line mit Blick auf die Vingerklip herunter.
Als wir in Windhoek das Auto wieder abgegeben haben, ging es weiter in die Küstenstadt Swakopmund. Diese ist zur Weihnachtszeit sehr belebt, weil viele Deutsch-Namibier und Südafrikaner in diesem Zeitraum in die Stadt kommen.
In ganz Namibia findet man manchmal deutsche Überbleibsel wie Straßenschilder oder Denkmäler, aber Swakopmund setzt noch einen oben drauf: In „Swakop“ (so nennen es die Einheimischen) ist so viel Deutsch, dass man sich oft fragt, ob man derzeit noch in Afrika oder in einer schönen deutschen Stadt an der Nord- oder Ostsee sei.
Neben einer tollen Strandpromenade gibt es in der ausgesprochen sauberen Innenstadt Fachwerkhäuser, ein großes Brauhaus und viele deutsche Kneipen, in denen man Fischbrötchen, Currywurst, Spätzle und andere „typisch deutsche“ Gerichte essen kann.
In solch einer Kneipe habe ich einen Abend mit anderen Fußballfans das letzte Spiel vom SC Paderborn 07 vor der Winterpause geschaut, welches die „Paderborner Jungs“ zu meiner Freude auch noch gewonnen haben.
In den Gasthäusern konnte man grundsätzlich immer einfach auf Deutsch bestellen und wenn man durch die Straßen ging und aus einer der Bars auf einmal ein Song von „Revolverheld“ ertönte, kam einem das nach ein paar Tagen gar nicht mehr ungewöhnlich vor.
Die Zeit in Windoek und in Swakopmund haben wir größtenteils in Backpacker Unterkünften verbracht. In diesen haben wir so gut wie jeden Abend neue Leute kennengelernt, die aus unterschiedlichsten Gründen derzeit in Namibia sind:
Von einem Medizinstudenten aus Australien, der nun im staatlichen Krankenhaus von Windhoek ein Praktikum absolviert, über Praktikanten, die bei einem deutschen Radio-Sender und bei einer deutschen Zeitung arbeiten, einem Studenten, der Umwelttechnik mit dem Schwerpunkt auf Entwicklungsländer studiert und deswegen jetzt ein Auslandssemester in Windhoek absolviert, bis hin zu Gesellen auf Wanderschaft war alles dabei.
Es war klasse, all diese Menschen kennengelernt zu haben und ihre Geschichten, die sie bereits in Namibia gesammelt haben, zu hören.
Da, wie gesagt, zur Weihnachtszeit die Stadt am vollsten ist, finden rund um das Fest auch die meisten Partys statt. So war fast jeden Abend in einer anderen Bar oder in einem anderen Club Live Musik.
Die Highlights, auch für die hier lebenden Deutsch-Namibier, sind jedoch jedes Jahr zwei große Festivals am Strand.
Wir haben es uns natürlich nicht nehmen lassen, diese zu besuchen und mussten feststellen, dass diese auch genauso hätten in Deutschland stattfinden können:
Bezahlt wurde mit einem Chip ums Handgelenk, den man an einem Stand mit Guthaben aufladen konnte, es gab viele Essensstände und Bars von internationalen Herstellern wie Malibu oder RedBull und es war eine große Hauptbühne mit riesigen LED-Wänden, Scheinwerfern und allem, was dazu gehört, aufgebaut.
Als wir beim ersten Festival ankamen und das Gelände sahen, waren wir echt überrascht. Nachdem ich schon einige Monate im Norden gelebt habe, hätte ich mir nie und nimmer vorstellen können, dass solch ein Event in Namibia stattfinden würde.
Die Weihnachtsfeiertage haben wir dann sehr ruhig verbracht und haben versucht, so gut wie es geht, in Weihnachtsstimmung zu gelangen: Wir haben erst „Willkommen bei den Hoppenstedts“ geschaut und am Abend, wie zu Hause auch, Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat gegessen, für den mir meine Mutter vorher noch das Rezept zukommen lassen hat.
Es war zwar ein echt schöner Abend, aber wirklich wie Weihnachten mit der Familie, mit einem Weihnachtskonzert und den Messen mit dem Paderborner Domchor hat es sich nicht angefühlt. Im Nachhinein war dies vielleicht gar nicht so schlimm, da man sich so nicht nach Zuhause gesehnt hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für meine Familie vielleicht seltsamer war, dass ich in Afrika Weihnachten feiere als für mich selbst.
Den ersten Weihnachtsfeiertag haben wir dann den ganzen Tag am Strand verbracht. Ein Ort, an dem ich vorher auch noch nie Weihnachten gefeiert habe.
Insgesamt war ich sehr dankbar, diese Zeit in Swakopmund verbringen zu dürfen, da ich die Themen Armut und Reichtum in Namibia nun noch einmal in einem neuen Licht sehe.
Eine große Strandparty ist vielleicht nicht das erste Bild, welches einem in den Sinn kommt, wenn man an Afrika im Allgemeinen denkt, aber es zeigt einem, dass die Bevölkerung, die in Ländern wie Namibia lebt, nicht gesammelt als „arm“ abgestempelt werden darf. Es gibt durchaus auch Wohlstand im Land, der sich an europäischen Standards orientiert.
Auch wenn die aktuelle Regierung versucht, die Kolonialgeschichte des Landes zu „verdrängen“, indem derzeit viele der Straßennamen mit deutschem Bezug umbenannt oder Denkmäler verlagert werden, wird man Städten wie Swakopmund ihren deutschen Ursprung wohl nie aberkennen können.
Trotz der schlimmen Taten unserer deutschen Vorfahren an Teilen der damaligen namibischen Bevölkerung wird Deutschland wohl immer ein Teil von Namibia bleiben, weil Deutsche über viele Jahre hinweg das Land geprägt haben. Obwohl der Bevölkerungsanteil von Deutsch-Namibiern heutzutage im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen in Namibia zwar relativ gering ist, haben diese immer noch einen großen Einfluss auf das Land, der in meinen Augen im Gegensatz zu früher auch nicht gleich als negativ bewertet werden darf.
So hat mir die Reise noch einmal verdeutlicht, wie gespalten Namibia doch eigentlich ist.
Wenn ich die Beach-Partys in Swakopmund, ausgestattet mit riesigen LED-Leinwänden und DJs, mit der noch ein paar Wochen zuvor erlebten Hochzeit im Norden Namibias vergleiche, könnte man meinen, dass Welten zwischen diesen beiden Regionen liegen. Es ist und bleibt jedoch dasselbe Land.
In Swakopmund bin ich mit mehreren gleichaltrigen Deutsch-Namibiern, die in der Nähe von Windhoek oder Swakopmund leben, in Kontakt gekommen, denen ich erzählt habe, in welcher Region des Landes ich das Jahr verbringe. Diese wollten mir das erst gar nicht glauben und haben mich dann zwar lachend, aber auch mit ernstem Hintergrund gefragt, wie ich es denn da bloß ein Jahr „aushalten“ könne, ohne ständige Wasser- und Stromversorgung, ohne funktionierendes Internet, überhaupt ohne europäische Lebensstandards.
Dass man die Zeit im Norden Namibias nicht nur „aushalten“, sondern auch richtig genießen kann, habe ich jedoch in den Monaten vor meiner Reise nur zu gut gelernt.
So war es kein Wunder, dass ich mich, auch wenn ich während der Reisen wieder mir gewohnte Lebensbedingungen vorfand und den zeitweisen Komfort genoss, sehr auf die Rückkehr in „mein Zuhause“ im Norden, auf unser Zimmer, die Schule und vor allem auf die Kinder gefreut habe.
Wer sich für die Reiseroute interessiert, dem habe ich hier einmal in der Karte die Orte markiert, die wir besucht haben.
Ein Gedanke zu “Unterwegs in Namibia”
Unglaublich, was du in der kurzen Zeit schon alles erlebt hast. Pass auf dich auf und genieß die Zeit. Ich freu mich, wenn du wieder da bist und deinen Reisebericht fortsetzt.